DIE DUNKLE SEITE DER SEELE

Tief in unserem Inneren gibt es einen geheimnisvollen Ort, den wir nicht kennen, der aber dennoch zu uns gehört – den „Schatten“. Dort befinden sich alle Charakterzüge, die wir ablehnen und daher verdrängen. Dieser abgespaltene Teil blockiert die Lebenskraft, behindert unsere Beziehungen und ist dafür verantwortlich, dass Träume sich nicht verwirklichen.

Stellen Sie sich vor, Ihre (wirklich) beste Freundin spricht mit einer Person, die Sie mögen und respektieren. Keiner der beiden bemerkt, dass Sie zuhören. Was müsste Ihre Freundin über Sie sagen, dass Sie zutiefst getroffen sind, oder vor Wut über diese Fehleinschätzung keine Luft mehr bekommen? Verlogen, hinterlistig, faul, inkompetent, langweilig, unverantwortlich, falsch, … – wenn ein Begriff aus dieser Aufzählung Sie gefühlsmäßig aus dem Gleichgewicht bringt, sind Sie Ihrem Schatten begegnet.

Was ist der „Schatten“?

Es sind die Teile unserer Persönlichkeit, die wir so verabscheuen, dass wir sie unbewusst verstecken und verleugnen. Der Schattenbereich enthält jene Aspekte, von denen wir glauben, dass sie nicht akzeptabel sind. Die Botschaft, die wir von dort bekommen, ist deutlich: „Es stimmt etwas nicht mit mir. Ich bin nicht in Ordnung. Ich bin nichts wert.“ So sind wir ganz sicher, dass Schreckliches in unseren Tiefen verborgen liegt und entscheiden instinktiv, niemals mehr nachzusehen. Wir haben Angst vor uns selbst und tragen von dem Zeitpunkt an eine Maske. Und die kann so perfekt sein, dass wir ihre Existenz völlig vergessen.

G. Jung war einer der ersten Therapeuten, der den dunklen Bereich in uns entdeckte: „Der Schatten ist alles das, was du auch bist, aber auf keinen Fall sein willst.“ Er ist wie ein langer Sack, den wir hinter uns herziehen.

Bis zwanzig verbringen wir viel Zeit damit, herauszufinden, welche Teile wir hineinstecken wollen und den Rest unseres Lebens damit, genau diese wieder herauszuholen. Denn innere Heilung kann nur geschehen, wenn der Schatten durch das Licht verschwindet.

Die Psychologin Debbie Ford schreibt: „Ihr ganzes Leben wird sich verändern, wenn Sie mit Ihrem Schatten Frieden schließen. Sie müssen nicht mehr so tun, als ob Sie jemand wären, der Sie nicht sind. Sie brauchen nicht mehr zu beweisen, dass Sie gut genug sind.

Wenn Sie zu den Eigenschaften im Schattenbereich sagen können: „Ja, das bin ich auch“, dann haben Sie endlich die Freiheit das Leben zu führen, das Sie sich immer gewünscht haben. Denn die Energie, die bisher zum Verdrängen nötig war, steht Ihnen nun zur Verfügung.

Wie entsteht dieser Schatten? Als Kind bewerten wir zunächst nicht, welcher Teil von uns gut oder schlecht ist. Aber dann lernen wir oft schmerzhaft, welche Verhaltensweisen auf Zustimmung oder Ablehnung stoßen. Um akzeptiert und geliebt zu werden, mussten wir unsere „schlechten“ Eigenschaften ablegen oder sie zumindest verbergen. Später vergessen wir, dass so ein Vorgang jemals stattgefunden hat. Wir sind jetzt nur mehr „gut“. Jung meinte einmal: „Ich möchte lieber ganz sein als gut“. Aber wie viele von uns zeigen nie ihr wahres Gesicht und verraten sich, nur um gemocht zu werden?

Die Lehre von den Schatten besagt:

In jedem von uns existieren neben den positiven auch alle negativen Eigenschaften – Gier, Neid, Rachsucht, Egozentrik, Faulheit, Schwäche, Feindseligkeit …

Debbie Ford: „Es geht darum, sich mit allen Persönlichkeitsteilen auszusöhnen. Denn das, was in Ihnen nicht sein darf, lässt Sie nicht sein. Oder was Sie nicht in Besitz nehmen, besitzt Sie.“

Das Ziel der Schattenarbeit heißt: Vergeben Sie sich selbst, dass Sie als Mensch unvollkommen sind. Jeder von uns liebt und hasst, ist gefällig und rücksichtslos, eingebildet und verständnisvoll. Unsere Aufgabe ist es, das zu erkennen und dann für jeden Aspekt Akzeptanz und Mitgefühl zu entwickeln. Nur wer sich selbst liebevoll annimmt, kann das auch bei anderen. Und wer andere streng verurteilt, tut das meist auch bei sich selbst. Wirkliche Selbstliebe bedeutet, Licht
und Schatten in sich zu sehen und beides positiv zu betrachten.

Wie kann jeder Einzelne seinen dunklen Bereich finden? Der wichtigste Schritt besteht in der Erkenntnis, dass nichts in Ihnen schlecht und verurteilenswert ist, sondern ein bisher verborgener Schatz. Wenn Sie diesen Schatz ausgraben und ihm entsprechende Beachtung schenken, wird aus der Raupe, die Sie bisher waren, ein atemberaubender Schmetterling.

Debbie Ford: „Die Frage ist nicht, ob Sie in der Gegenwart einen bestimmten Charakterzug an sich entdecken, sondern ob es möglich wäre, dass Sie ihn unter anderen Umständen vielleicht doch entwickeln könnten.“ Sie beschreibt das Beispiel eines Mannes aus ihrer Praxis, der grundsätzlich akzeptierte, dass jeder Mensch jede Eigenschaft in sich trägt. Nur beim Wort „Mörder“ konnte er das nicht. Debbie Ford stellt ihm dann folgende Frage: Könnte er eventuell einen Mord begehen, wenn er jahrelang unschuldig eingesperrt gewesen und täglich geschlagen worden wäre?

Dieses Extrembeispiel zeigt deutlich, dass wir alle unter bestimmten Voraussetzungen vielleicht Handlungen setzen würden, die wir zunächst sofort scharf verurteilen. Es kann auch sein, dass wir herausfinden, dass eine von uns abgelehnte Eigenschaft durchaus positive Aspekte hat.

Debbie Ford erzählt, wie sie es immer gehasst habe, als „herb“ bezeichnet zu werden. Als sie erkannte, dass gerade dieser Charakterzug hervorragend dafür geeignet sein kann, nachlässige Handwerker zu motivieren oder eine Ware zu reklamieren, war sie fähig, sich damit auszusöhnen.

Aussöhnung bedeutet, einen Segen auch im scheinbar Negativen zu sehen und verändert die Sicht der Dinge für immer.

Es gibt drei Hilfsmittel den eigenen Schatten zu finden:

  1. Stellen Sie sich vor, in einer großen Zeitung erscheint ein Artikel über Sie. Welche Eigenschaften von Ihnen, die Sie als extreme Ungerechtigkeit, infame Lüge oder Frechheit empfinden würden, sind darin beschrieben?
  2. Erforschen Sie Ihre Vergangenheit: Was musste jemand zu Ihnen sagen, damit Sie verletzt reagieren?
  3. Achten Sie auf Projektionen – eine der allergrößten Hilfen, um den Schatten zu entdecken. Alles, was uns an anderen stört und aufregt, ist ein Hinweis auf unsere eigenen dunklen Seiten. Diese Erkenntnis tut normalerweise sehr weh. Daher bestreiten wir einen Zusammenhang zwischen der verheerenden Eigenschaft eines anderen und uns selbst oft mit größter Empörung. Allein der Gedanke, dass die Faulheit, Unzuverlässigkeit oder Sündhaftigkeit von Herrn oder Frau X etwas mit uns zu tun haben könnte, erscheint absurd. Aber gerade diese Reaktion ist ein sicherer Hinweis darauf, dass wir sehr wahrscheinlich dem eigenen Schatten begegnet sind. Sonst würden wir diese Eigenschaft zwar registrieren, uns aber nicht darüber aufregen.

Wenn es einen Aspekt gibt, den wir noch nicht angenommen haben, werden immer wieder Menschen ins Leben treten, die uns gerade mit dieser Eigenschaft konfrontieren. Es ist also klug, nicht sofort zu verurteilen, sondern die Frage zu stellen: „Was hat das mit mir zu tun?“

Debbie Ford: „Wenn wir dann diesen Aspekt als zu uns gehörig annehmen, können wahre Wunder geschehen. Entweder hört ein anderer auf, sich so zu verhalten, es stört nicht mehr, oder wir sind in der Lage uns von einer bestimmten Person zu trennen.“ Ein Spruch heißt: „Verwandle deine Wunden in Weisheit“. Anstatt an Groll und Vorwürfen festzuhalten, sollten wir den anderen als hilfreichen Spiegel nehmen und von ihm lernen.

WICHTIG:

  • Spüren Sie Ereignisse oder Personen auf, die für Sie eine negative emotionale Ladung haben und akzeptieren Sie, dass es dabei um I h r Thema geht.
  • Machen Sie sich den Einfluss bewusst, den das Verdrängen dieser Eigenschaft auf Ihr Leben hat.
  • Nehmen Sie auch diesen Teil von sich liebevoll an.

Wenn wir vergangene Schmerzen nicht heilen, hat das große Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Wir fühlen uns minderwertig, seltsam traurig oder boykottieren wirkliches Glück. Viele glauben, die Welt muss sich ändern, damit es ihnen besser geht. Aber es ist immer man selbst, der sich ändern muss. Vielleicht grollen Sie den Eltern, weil sie Sie unterdrückt haben. In Wirklichkeit sind Sie auf sich böse, weil Sie die Unterdrückung heute selbst fortsetzen.

Debbie Ford: „Es ist, als hätte uns jemand vor langer Zeit in einen Käfig gesperrt. Obwohl er schon seit vielen Jahren offen ist, kämpfen wir noch immer gegen seine Wände. Es ist ein Riesenunterschied, ob man darauf fixiert ist, was die Welt einem antut, oder ob man endlich sieht, was man sich selbst antut. Wenn Sie Angst davor haben, den Schatten ins Gesicht zu sehen, machen Sie sich bewusst, dass mit all dem, was dort schon lange begraben liegt, auch ein großer Teil Ihrer Kraft zu finden ist.“

Heilung kommt nie von einer anderen Person, sondern immer nur aus dem eigenen Inneren. Sagen Sie: ICH BIN ES WERT, DAS ZU HABEN, WONACH ICH MICH SEHNE. UND ICH WERDE DAS TUN, WAS NÖTIG IST, UM MEINE SEHNSUCHT ZU ERFÜLLEN.

Die Auseinandersetzung mit dem Schatten ist eine dieser Notwendigkeiten. Indem wir auch das als zu uns gehörend betrachten, was wir am meisten fürchten oder hassen, werden wir Meister unseres Lebens.

Gandhi sagte: „Die einzigen wirklichen Teufel in der Welt sind jene, die in unserem Herzen herumlaufen. Hier muss die Schlacht geschlagen werden“.

Hören Sie auf, zu verdrängen oder sich selbst zu belügen. Streben Sie nicht eine Vollkommenheit an, die ohnedies niemals erreicht werden kann, sondern Ganzheit. Denn nur, wer sich selbst als ganze Person liebt, ist auch fähig, einen anderen so zu lieben. Wenn Sie Ihren Schatten umarmen, indem Sie ihn mit Aufmerksamkeit, Liebe und Akzeptanz betrachten, öffnen Sie Ihr Herz und schließen Frieden mit den inneren „Teufeln“.

Sprüche:

Die einzige Sünde ist das ungelebte Leben (unbekannt)

Ich möchte lieber ganz sein als gut (C. G. Jung)

Das, was in Ihnen nicht sein darf, lässt Sie nicht sein (D. Ford)

Was du abwehrst, das bleibt bestehen (D. Ford)

Der Schatten ist das Gold im Dunkel C. G. Jung)

Übungen, um den Schatten zu entdecken:

Schreiben Sie alles auf, was Sie an Ihren Freunden, Bekannten und der Familie stört. Und fragen Sie sich dann ganz ehrlich: Welche dieser Eigenschaften habe ich selbst und will es nicht wahrhaben?

Bitten Sie wohlmeinende Personen um Rückmeldung, welche positiven und negativen Seiten sie an Ihnen sehen.

Es sollten Menschen sein, die Sie wirklich gerne haben und Ihnen ehrlich Feedback geben. Versuchen Sie, nicht sofort verletzt oder wütend zu reagieren. Überlegen Sie in Ruhe, ob die genannten Eigenschaften der Wahrheit entsprechen könnten, obwohl Sie sich das nie eingestanden haben. Sagen andere Dinge, die nur falsch sind, sind wir vielleicht verwundert, aber nicht gefühlsmäßig getroffen.

Jede starke emotionale Reaktion weist auf ein Schattenthema hin!

Literatur:

Debbie Ford: „Die dunkle Seite der Lichtjäger“, Goldmann Verlag

Melody Beatty: „Der Weg zur inneren Stärke“,
Heyne Millenium Verlag