DIE KUNST DES ZUHÖRENS

„Zuhören ist eine Herzenssache, der aufrichtige Wunsch, Nähe herzustellen, anziehend und heilend zugleich“ (J. Ishram). Sehen Sie das auch so oder gehören Sie zu denen, die sich schwer damit tun? Dann üben Sie ruhig ein wenig, denn Zuhören ist das Geheimnis für gute Beziehungen, beruflichen Erfolg und eine bessere Gesundheit.

Wollen Sie unwiderstehlich sein, attraktiv und begehrt? Dann hören Sie zu. Nichts macht einen Menschen beliebter als die Fähigkeit einfühlsam zu lauschen. Auch wenn Falten ihre Spuren ziehen, die Figur runder wird oder sonstige Alterungserscheinungen die äußere Schönheit mindern wer zuhört ist noch mit hundert für andere wie ein Magnet.

Ganz uneingebildet kann ich sagen, dass ich eine begnadete Zuhörerin bin. Es gibt kaum eine Supermarktkasse, an der mir beim Warten nicht irgendwelche Sorgen erzählt werden, kein Wartezimmer, in dem ich nicht von diversen Ehekrisen erfahre. Ich bin zwar zugegebenermaßen Psychologin, aber das steht mir ja nicht auf der Stirn geschrieben. Scheinbar verbreiten gute Zuhörer ein Fluidum, von dem Redewillige sich magisch angezogen fühlen. Natürlich will auch ich, dass man mir zuhört. Seit ich die Lehren meiner eigenen Selbstbewusstseinskurse streng befolge, fordere ich das auch ein. Verbal mit „Sag mal, hörst du eh zu?!“ und nonverbal mit mehr oder weniger heftigem Stoßen der betreffenden Person. Diese Maßnahmen kommen hauptsächlich beim männlichen Teil meiner Ursprungsfamilie zur Anwendung und haben sich entsprechend bewährt.

Wer zuhört gewinnt immer – Information und Sympathie. Trotzdem tun viele Menschen es nicht. Rebecca Shafir schreibt in ihrem Buch „Zen oder die Kunst des Zuhörens“: „Offenbar ist es leichter oder interessanter eigene Gedanken mitzuteilen, als sich schweigend und einfühlsam in die Lage eines anderen zu versetzen. Dabei ist mangelndes Zuhören oft der Grund dafür, dass Freundschaften zerbrechen, Partnerschaften auseinandergehen oder Geschäfte nicht zustande kommen“ Es gibt zwei Arten von schlechten Zuhörern. Typ eins monologisiert ohne Erbarmen und ignoriert jeden Versuch ihn zu unterbrechen. Nerven kostet auch seine Unfähigkeit, eine Frage ohne Umschweife zu beantworten. Typ zwei redet zwar nicht ständig, trägt aber Desinteresse durch gelangweilte Miene oder spürbares „wo anders Sein“ zur Schau. Verstecken hinter einer Zeitung, undeutliches Murmeln oder der intensive Blick in den Fernseher sind dabei gängige Methoden.

Warum hören Menschen nicht zu? Die Psychologin und Mediatorin Dr. Margit Steinzer: „Die wichtigsten Gründe sind Egozentrik, Desinteresse am Thema, Konzentrationsmangel, Überlastung oder Angst vor zu viel Nähe. Manche hören nicht zu, weil sie das als anstrengend empfinden. Aber auch in der Folge entstehende Missverständnisse kosten Energie“. Richtiges Zuhören heißt nicht, Gesagtes irgendwie aufzunehmen, sondern ein Gespür für Zwischentöne oder Unausgesprochenes zu entwickeln. In meiner psychologischen Praxis mache ich häufig die Erfahrung, dass alleine die Körperhaltung das Gegenteil von dem vermitteln kann, was der Klient mit Worten sagt.

Zuhören ist eines der schönsten Geschenke, die wir einem anderen machen. Kann man lernen, ein guter Zuhörer zu werden? Rebecca Shafir: „Es geht dabei nicht darum, harte Arbeit zu leisten, sondern eine andere Einstellung zu gewinnen. Lassen Sie als ersten Schritt einfach die Vorstellung zu, dass jede Begegnung mit einem anderen Menschen einen Schatz an Erfahrung, Information oder Erkenntnis enthalten kann.“ Das gelingt am besten wenn Sie folgende Punkte beachten:

Weg vom Egotrip
Stellen Sie für einige Zeit ihre eigenen Angelegenheiten zurück und konzentrieren Sie sich auf den Sprecher. Sie sind zweifellos interessant, aber der andere ist es auch. Und deshalb ist jetzt er mit reden dran. Die grundlegende Einstellung „Ich bin ok, du bist ok“ leistet dabei gute Dienste.

Geben Sie Vorurteile auf
Meist fällen wir schon bei der ersten Begegnung die Entscheidung, ob es sich lohnt, einer Person zuzuhören. Entspricht sie nicht unseren Vorstelllungen bezüglich Geschlecht, Alter, sozialem Status, ethnischer Zugehörigkeit oder äußerem Erscheinungsbild verblassen die Worte oder wir nehmen sie erst gar nicht auf. Ich beobachte zum Beispiel in Spitälern häufig, dass Aussagen eines männlichen Arztes bei älteren Menschen besser ankommen, als die einer Ärztin. Das Vorurteil, Männer seien auf jeden Fall kompetenter, sitzt tief.

Schluss mit Besserwisserei und Sturheit
Wer immer recht hat oder ausschließlich auf seinem Standpunkt beharrt ist nicht nur als Zuhörer ungeeignet, sondern auch als Mensch mühsam. Sie sind toll und Sie haben sicher recht. Aber eben nicht immer.

Dem Einfühlsamen gehört die Welt
Finden Sie es schön, wenn jemand Sie versteht, mit Ihnen fühlt und damit eine Atmosphäre von Wärme erzeugt? Eben. Gehen Sie also ruhig davon aus, dass auch Ihr Gesprächspartner von so einem Ambiente sehr angetan ist.

Unterlassen Sie Werturteile
Wer Gehörtes sofort in die Kategorien „gut“ und „schlecht“ aufteilt, kann nicht mehr so zuhören, dass der andere auch etwas davon hat. Richtig und falsch sind sowieso relative Begriffe, die je nach Situation variieren. Lassen Sie keine Gelegenheit aus, zuzuhören, ohne sofort zu werten. Das ist nicht nur für den anderen entlastend, sondern auch für Sie.

Vermeiden Sie „Killerphrasen“
Es gibt Sätze, die den anderen regelrecht stoppen und außer miesem Klima nichts bewirken. Dazu gehören: „Das bildest du dir doch nur ein“, „Musst du immer so ein Theater machen?“, „Wie bist du nur auf diese Idee gekommen?“ „Was war denn schon wieder los?“. Solche Aussagen kränken, werten den Andern ab und verhindern damit eine sinnvolle Kommunikation.

Verkneifen Sie sich den „guten Rat“
Vielleicht sind Sie ja der Meinung, dass nur Sie wissen was jemand braucht, um ein Problem zu lösen. Wunderbar, wenn der andere es auch so sieht und gierig darauf wartet, dass entsprechende Weisheiten von Ihren Lippen perlen. Entspricht das aber nicht den Tatsachen, ist es klüger, wohlmeinende Ratschläge für sich zu behalten. Sie werden mit eine bisschen Sensibilität spüren, ob diese wirklich erwünscht sind, oder sich der andere einfach nur aussprechen möchte.

Nutzen Sie die Kraft des Schweigens
Positives Schweigen vermittelt nicht Desinteresse oder Langeweile, sondern lässt dem Gesprächspartner die Möglichkeit, Schmerz, Wut oder Angst herauszulassen. Eine Klientin von mir reist seit zwei Jahren extra aus dem Burgenland nach Wien, um eine Stunde ohne Unterbrechung zu reden. Ich höre nur zu, aber die Art,  w i e ich das mache, vermittelt ihr Geborgenheit und Angenommensein.

Gutes Zuhören verbessert bei uns und Anderen die körperliche und seelische Gesundheit. Wir helfen unserem Gegenüber, Stress abzubauen und tragen so dazu bei, dass sein Blutdruck sinkt, das Immunsystem gestärkt wird und ein eventuelles Magengeschwür im optimalen Fall gar nicht erst entsteht. Außerdem wird das Selbstwertgefühl gestärkt, weil wir signalisieren: „Du bist wichtig. Ich nehme mir Zeit für dich“. Für Zuhörer selbst sinkt laut einer Studie sogar die Sterblichkeitsrate, weil gute Sozialkontakte das Leben erwiesenermaßen verlängern. Besseres Verständnis füreinander fördert auch Gelassenheit und innere Ruhe, was wiederum einen positiven Effekt auf Körper und Seele hat.

Ohne Zuhören ist eine echte Beziehung zu anderen nicht möglich. Viele Partnerschaften scheitern daran, dass einer oder beide unfähig sind, sich für bestimmte Zeit voll und ganz auf den anderen zu konzentrieren. Dr. Steinzer: „In der Mediation geht es darum, dass trennungswillige Partner doch noch einen Weg finden, konstruktiv miteinander umzugehen.

Sie lernen oft erst zu diesem Zeitpunkt, dass Zuhören für eine faire Gesprächsführung unerlässlich ist.“ Natürlich dürfen wir einander auch nicht quälen. Wie gehen Sie mit jemanden um, der unbarmherzig weiterredet, obwohl Ihre Augen schon glasig sind oder Ihnen der sprichwörtliche Schweiß von der Stirn tropft? Rebecca Shafir: „Wenn Sie das Thema wirklich nicht interessiert oder der andere Ihre Geduld über Gebühr beansprucht, ist es völlig in Ordnung zu sagen: „Es tut mir leid, ich muss jetzt weitermachen.“ Erbarmungslos niedergeschwätzt zu werden ist seelischer Missbrauch und den müssen Sie sich nicht gefallen lassen. Es kann auch sein, dass einfach der Zeitpunkt nicht richtig ist. Wenn sich Ihr Kind gerade auf dem Teppich übergibt, der Hund Gassi muss und Ihr grippekranker Partner auf den Tee wartet, sind Sie vielleicht für einen Liebeskummertratsch mit der Freundin nicht in der Lage. Ein „Sei nicht böse, aber ich kann dir im Moment nicht zuhören“ ist dann aber auf jeden Fall besser, als die Ärmste ihren Schmerz ins Leere reden zu lassen.

Michael Ende schreibt in seinem Buch „Momo“ über ein kleines Mädchen, das anderen in einer ganz besonderen Art Aufmerksamkeit schenkte: „Sie konnte so zuhören, dass rastlose oder unentschlossene Leute auf einmal ganz genau wussten, was sie wollten. Oder dass Schüchterne sich plötzlich frei und mutig fühlten. Oder dass Unglückliche und Bedrückte zuversichtlich und froh wurden. Und wenn jemand meinte, sein Leben sei ganz verfehlt und bedeutungslos und er selbst nur einer unter Millionen, einer auf den es überhaupt nicht ankommt – und er ging hin und redete mit Momo, dann wurde ihm auf geheimnisvolle Weise klar, dass er sich gründlich irrte, dass es genau ihn unter allen Menschen nur ein einziges Mal gab, und dass er deshalb auf seine besondere Weise für die Welt wichtig war. So konnte Momo zuhören!“

Zuhören ist eine Herzenssache und wenn Sie nicht sicher sind, ob Sie es gut machen, dann handeln Sie einfach nach der goldene Regel: Hören Sie anderen so zu, wie Sie selbst möchten, dass Ihnen zugehört wird.

Literatur:

Rebecca Shafir:
„Zen oder die Kunst des Zuhörens“,
Ariston Verlag

Michael Ende:
„Momo“,
Thienemann Verlag

Dale Carnegie:
„Wie man Freunde gewinnt“