MÜTTER UND TÖCHTER

Wenn eine Frau eine andere auf die Welt bringt, sind beide auf besondere Weise miteinander verbunden. Manchmal erzeugen Liebe, Schmerz und enttäuschte Erwartungen aber auch eine Verwirrung der Gefühle, die oft ein Leben lang anhält. Können Mütter und ihre Töchter eine Beziehung führen, die für beide befriedigend verläuft?

Ich bin eine Tochter und kann heute sagen, dass meine Mutter und ich die Freundschaft geschlossen haben, die für uns möglich ist. Das war nicht immer so. Als Kind klammerte ich mich mit tränenüberströmtem Gesicht ans Fenstergitter, wenn sie das Haus verließ, um die Zähne irgendwelcher Leute zu reparieren. Ich fühlte mich völlig verlassen und der Herrschaft eines Kindermädchens ausgeliefert, das ich aus vollem Herzen verabscheute. Als ich sechzehn war, wurde die Beziehung schwierig. Die erste Welle der Frauenbewegung hatte unser Land erfasst und begeistert brachte ich das entsprechende Gedankengut nach Hause. Obwohl meine Mutter für ihre Generation eine emanzipierte Frau war, wollte und konnte sie nicht soweit mit den Traditionen brechen, wie ich das gerne gesehen hätte. Ich nannte sie die „gehorsame Dienerin“ meines Vaters, dessen strenge Ansichten sie zwar nicht teilte, gegen die sie aber auch nicht wirklich ankämpfte. Mit achtzehn machte ich sie für alles verantwortlich, was in meinem Leben schief ging. Stürmische Auseinandersetzungen waren an der Tagesordnung. Ich fühlte mich unverstanden und als ewiger Außenseiter einer Familie, in der alle anderen im gleichen Takt tickten. Mit fünfunddreißig begann ein Aussöhnungsprozess, der uns einander wieder näherbrachte. Sie besuchte Seminare, die ich als Psychologin leitete und begann auch, über sich selbst nachzudenken. In vielen Gesprächen wurde mir klar, wie sehr ich sie eigentlich liebte und so konnte ich endlich meinen Zorn loslassen.

Es gibt natürlich Mütter und ihre weiblichen Kinder, die versichern, sich ausschließlich innig zu lieben, Konflikte nur vom Hörensagen zu kennen und in immerwährendem seelischem Gleichklang glücklich durchs Leben gehen. Die Regel ist das nicht. Ich habe als Therapeutin noch kaum Sitzungen erlebt, in denen wir nicht früher oder später beim Thema „Mama“ gelandet sind. Die Beziehung zur Mutter ist für jede Frau von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung ihrer Persönlichkeit und auch ihr Verhältnis zu anderen Menschen. Warum ist das so?

Univ. Doz. Dr. Cheryl Bernard und Dr. Edith Schlaffer, Sozialwissenschaftlerinnen im Ludwig Boltzmann Institut für zwischenmenschliche Beziehungen und Bestsellerautoren:
„In der Tochter erlebt die Mutter viele Situationen und Hoffnungen ihres Lebens ein zweites Mal.

Das erschwert die Distanz, die für eine gute Beziehung nötig ist. Töchter wollen ihr Leben leben und eigene Fehler machen. Für Mütter ist es generell schwer, das zuzulassen.“

Einige Zitate aus Therapiestunden: „Ich laufe heute noch der Anerkennung nach, die sie mir nie gegeben hat“, „Immer wenn ich sie brauchte, hat sie mich im Stich gelassen“, „Ständig hat sie an mir herumkritisiert, nichts war richtig“, „Sie will immer alle beherrschen, das will sie heute noch“, „Wenn ihr etwas nicht passt, bekommt sie sofort Herzbeschwerden“, „Ich fühle mich heute noch schuldig, wenn ich etwas tue, was ihr nicht recht ist“.

Gelitten wird unter der kalten, schwachen, kontrollierenden, erpresserischen oder dominierenden Mutter. Es gibt natürlich Töchter, die nie wütend auf ihre Mütter sind, aber die meisten Frauen kennen das gefühlsmäßige Pendeln zwischen Liebe und Hass.

Es gibt den Mythos von der sich grenzenlos verströmenden Mutterliebe und auch in nichtreligiösen Kreisen den bedingungslosen Glauben an das Gebot „Du sollst Vater und Mutter ehren“. Einer meiner fortschrittlicheren Lehrer pflegte dazu trocken zu bemerken: „Sie müssen aber auch danach sein“. Sowohl der Mythos als auch die Forderung, dieses Gebot niemals zu brechen, verhindert, dass problematische Gefühle gespürt, akzeptiert und verarbeitet werden können. Denn wie in den meisten Beziehungen gibt es auch zwischen Mutter und Tochter Widersprüche, Lügen, und – neben aller Zuneigung – uneingestandene Gefühle von Zorn, Neid und Schuld. Auch wenn sie von außen betrachtet total verschieden leben, übernehmen Töchter auf einer unbewussten Ebene oft Ängste, Sorgen, Einstellungen und Reaktionen ihrer Mutter.

In welchen Bereichen wirkt sich das auf ihr Leben besonders prägend aus?

Beziehungsverhalten:
Nancy Friday schreibt in ihrem Buch „Wie meine Mutter“: „Egal wie wir das Netz von Emotionen zwischen uns und anderen weben, häufig ist es geprägt von dem Muster, das zwischen ihr und uns besteht. Viele der Beziehungen, die wir als Erwachsene führen, enthalten Elemente der Mutter-Tochter Beziehung. Entweder spielen wir die Rolle des Kindes und machen die andere Person zur Mutter oder wir übernehmen ihre Rolle. Partner reagieren häufig nicht auf das, was sich zwischen ihnen abspielt, sondern auf unverheilte Wunden der Vergangenheit.“

Schuldgefühle:
Eine Mutter sendet oft widersprüchliche Botschaften. Sie sagt das Eine, tut das Andere und fühlt etwas Drittes. Das erzeugt bei der Tochter große Verwirrung. Nancy Friday: „Häufig gleicht das Leben der Tochter einem misstönenden Kompromiss, weil sie versucht, alle Teile der gespaltenen Botschaft auszuleben.

Und so weiß sie nicht, was sie tun soll, denn irgendwie scheint es nie das Richtige zu sein. Sie fühlt sich seltsam schuldig und kann keinen wirklichen Grund dafür angeben“.

Übernahme von Ängsten:
Ist die Mutter selbst ängstlich ist es wahrscheinlich, dass das furchtgetönte Klima in der Familie die Tochter beeinflusst. Sie lernt auf einer unbewussten Ebene: „Diese Welt ist ein angsterregender Ort“. Viele tiefsitzenden Ängste und Unsicherheiten, die ein mangelndes Selbstwertgefühl zur Folge haben, sind unter anderem darauf zurückzuführen. Bernard und Schlaffer: „Die Mutter fürchtet auch, dass die Tochter in eine gefährliche Situation geraten, sich mit einer falschen Entscheidung ihre Zukunft verbauen oder in schlechte Gesellschaft geraten könnte. Und so ist die Spannung zwischen einem Kind, das Freiheit haben will und einem schützenden Elternteil unvermeidbar.“

Minderwertigkeitsgefühle:
Sie können entstehen, wenn der Tochter nicht vermittelt wird: „Du bist wichtig. Was du denkst, fühlst und tust ist VON GROSSER Bedeutung. So wie du bist, ist es in Ordnung!“ Die Folge ist, dass die Tochter sich selbst nicht genug liebt.

Wie können Mütter und Töchter ihre Beziehung zueinander verbessern?

Bei schwierigen Verhältnissen geht es zunächst um die Frage: Ist eine Verbesserung der Beziehung möglich oder wird das durch anhaltende zerstörerische Mechanismen verhindert? S. Cohan schreibt in ihrem Buch „Meine Mutter macht mich ganz verrückt“: „Erwachsene Töchter, die versuchen, das Verhältnis zu einer lieblosen Mutter „hinzukriegen“, lassen sich mit jenen Menschen vergleichen, die in ein vegetarisches Restaurant gehen und Roastbeef bestellen. Die Mutter, von der sie liebevolles Umgehen erwarten, hat das wahrscheinlich von ihren eigenen Eltern nie bekommen. Sie hat dieses Verhalten einfach nicht in sich und kann es daher auch nicht geben. Sobald Sie das wirklich erkannt haben, wird alles ein wenig leichter. Die eigene Mutter zu sehen, wie sie wirklich ist und nicht durch eine Brille unrealistischer Forderungen, ist ein Riesenschritt in Richtung innerer Friede. Die Macht der Mutter, der Tochter immer wieder Schmerz zu bereiten, verringert sich. Wenn Sie klar erkennen, was sie geben kann und was nicht, freuen Sie sich über das, was eventuell doch möglich ist“. Für Mütter: Hören Sie Ihrer Tochter zu, bitten Sie für Fehler aus der Vergangenheit um Entschuldigung und behandeln Sie sie als eigene Persönlichkeit. Für Töchter: Versuchen Sie, ein früheres problematisches Verhalten der Mutter vom heutigen Blickpunkt aus zu verstehen. Versuchen Sie, nicht im Vorwurf „Was du mir angetan hast“ stecken zu bleiben, auch wenn Sie das volle Ausmaß der Blockaden durch die Erziehung erkannt haben. Es bedeutet seelische Anstrengung, sich aus einer Verstrickung zu lösen, die vielleicht das ganze bisherige Leben überschattet hat.

Gelingt das aber, werden Sie lächeln, wo früher Tobsuchtsanfälle angesagt waren und mit der Schulter zucken, wenn Ihnen früher heftige Magenkrämpfe zu schaffen machten. Und Sie werden ein unglaubliches Gefühl von Freiheit spüren, wenn die gewohnte Kritik zum ersten Mal keine kränkende Spur mehr hinterlässt. Endlich fühlen Sie: „Ich kann ich selbst sein, eigene Entscheidungen treffen und die Kontrolle über mein Leben übernehmen.“

Geschichten von Müttern und Töchtern sind facettenreich und vielschichtig. Regine, 45, und ihre Tochter Moni, 20, leben mit der Familie in einem märchenhaften Haus in der Lobau. Einige Jahre war diese Idylle nicht ganz ungetrübt. Moni: „Meine Eltern bilden seit 25 Jahren ein sogenanntes Heile-Welt-Paar. Sie verstehen sich wunderbar und streiten kaum. So hatte meine Mutter auch bei mir für jedes Problem sofort eine Lösung anzubieten. Sie ist in meinen Augen naiv optimistisch und ging blauäugig durchs Leben, obwohl sie dabei immer wieder auf die Nase fiel. Ich selbst bin eher misstrauisch und ein übereifriger Pessimist. Es gab eine Zeit, da stritten wir pausenlos. Vielleicht wollte ich sie überzeugen, dass es so etwas wie eine heile Welt nicht gibt. Und manchmal kam es mir vor, als ob ich die Mutter war und sie das Kind. Dann war ich länger im Ausland und irgendwie schweißte uns die Distanz zusammen. Heute verstehen wir uns viel besser. Je weniger sie versucht, mir Ratschläge zu geben, umso mehr bin ich bereit, welche anzunehmen. Sie lebt immer noch für die heile Welt, aber nicht mehr ganz so naiv wie früher. Regine: „Ich wünschte mir immer ein freundschaftliches Verhältnis zu meiner Tochter. Als sie 16 war, kamen wir in eine echte Krise. Wir konnten überhaupt nicht mehr miteinander reden, ohne zu streiten. Unsere Weltanschauungen waren total verschieden. Dazu kam, dass sie verschlossen ist, und ich gerne über alles rede. Sie warf mir vor, auf alles eine Antwort zu haben und war aggressiv und verletzend. Heute vermeiden wir unnötige Diskussionen und akzeptieren unsere gegensätzlichen Lebenseinstellungen. Ich lasse sie ihren Weg gehen, bin aber trotzdem immer für sie da, wenn sie Hilfe benötigt.“

In einem ruhigen Kaffeehaus treffe ich Sylvia, 48, und ihre Tochter Martina, 23. Spannung ist spürbar, als sie mir erklären, dass sie nur getrennt befragt werden wollen. Sylvia: „Ich gebe ehrlich zu, dass ich als alleinerziehende Mutter zu unreif war und Fehler gemacht habe. Meine Tochter musste viel allein bleiben, weil ich arbeitete. Ich war froh, wenn ich die Verantwortung für sie mit meinem Lebensgefährten teilen konnte und verteidigte sie daher ihnen gegenüber auch zu wenig. Mir war es sogar recht, dass ihr Freund bei uns einzog, als sie 15 war. Ich übersiedelte ins Kinderzimmer und überließ den beiden das Ehebett. Das gab mir mehr Freiheit und ich hatte die Gewissheit, dass sich jemand um sie kümmert. Als sie keiner Arbeit nachgehen wollte, besorgte ich ihr mit 16 eine eigene Wohnung. Rückblickend war das eine richtige Entscheidung. Unsere Beziehung ist zwar heute noch ein wenig gespannt, aber ich glaube, dass sie es nun geschafft hat, für sich selbst zu sorgen.“ Ihre Tochter Martina ist sehr hübsch und sieht aus, wie ein ganz junges Mädchen. Sie erzählt: „Meine Mutter hatte immer wenig Zeit für mich. Sie hat mich schon mit zehn Jahren in der Nacht allein gelassen und mir war oft vor Angst ganz schlecht. Mir wird auch jetzt noch übel, wenn ich Probleme habe. Wenn ich einmal eine Tochter habe, werde ich auf sie eingehen und sie unterstützen. Ihr sind auch heute noch andere Leute wichtiger als ich. Wenn ich sie treffen will, bekomme ich einen Termin für irgendwann, obwohl ich sie gerne öfter sehen würde. Am meisten habe ich darunter gelitten, dass sie nicht die liebevolle, warmherzige Mutter war, die ich gebraucht hätte. Heute ist das Verhältnis eher freundschaftlich, aber Distanz ist für uns beide wichtig.“

Ein kleines Dorf am Fuße des Schneeberges. In einem Doppelhaus am Ende der Straße wohnen Großmutter Inge Schreier, 73, Mutter Beatrix Reinprecht, 45, und Tochter Julia, 17. Männer in Form von Söhnen, Brüdern und Freunden sind auch noch da. Außerdem drei Pferde, vier Hunde und eine Katze. Die Familie ist nach diversen Scheidungen und Schicksalsschlägen freiwillig zusammengezogen. Beatrix: „Ich habe sowohl zu meiner Mutter als auch zu meiner Tochter ein inniges Verhältnis. Meine Mutter war 100% für mich da und ich habe meiner Tochter immer vermittelt, dass sie sich auf mich verlassen kann.“ Zustimmendes Nicken von Inge und Julia. Gibt es ein Rezept für so viel Harmonie?“ Toleranz, Güte und Herzenswärme. Viele Gespräche. Und Liebe.“

DAS 8-SCHRITTE PROGRAMM FÜR TÖCHTER:

  1. Versuchen Sie, die Mutter aus ihrer eigenen Geschichte heraus zu verstehen und ihr zu vergeben. Vergeben bedeutet nicht (!) unrechtes Verhalten zu entschuldigen, sondern die eigenen Energie aus der Angelegenheit herausnehmen.
  2. Fragen Sie sich ehrlich: Leide ich darunter, dass ich von ihr unbewusst Ängste, Einstellungen, Abneigungen oder Wünsche übernommen habe?
  3. Ziehen Sie ohne schlechtes Gewissen dort eine Grenze zwischen sich und Ihrer Mutter, wo das für Ihr Seelenheil nötig ist
  4. Entrümpeln Sie aktuelle Beziehungen zu Partnern, Kindern oder anderen Menschen von vergangenem Ballast. Frage: Reagiere ich noch immer unbewusst wie meine Mutter oder aus sie?
  5. Sehen Sie die Mutter mit Ihren heutigen Augen und nicht als die übermächtige Person Ihrer Kindheit.
  6. Bejahen Sie innerlich: „Ich bin kein abhängiges Kind mehr und bin fähig, ohne Schuldgefühle meinen Weg zu gehen.
  7. Sehen Sie auch die positiven Seiten Ihrer Mutter und konzentrieren Sie sich darauf.
  8. Vergessen Sie die Liebe nicht!!

Das 4- SCHRITTE PROGRAMM FÜR MÜTTER:

  1. Akzeptieren Sie, dass Ihre Tochter die Vergangenheit anders empfunden hat als Sie und eventuell noch heute an damals erlittenen Verletzungen leidet.
  2. Geben Sie Fehler zu.
  3. Suchen Sie das Gespräch – immer und immer wieder.
  4. Vergessen Sie die Liebe nicht!!!

LITERATUR:

Nancy Friday:

„Wie meine Mutter“,

Fischerverlag

und E. Cohen:

„Meine Mutter macht mich ganz verrückt“,

Piperverlag

Ch. Bernard, E. Schlaffer:

„Wie aus Mädchen tolle Frauen werden“,

Heyneverlag