DIE KUNST DES VERZEIHENS

Viele Frauen geraten mit traumwandlerischer Sicherheit immer wieder in Beziehungen an wahre Horrormänner. Ihr Leben ist dadurch geprägt von Verzweiflung, Hilflosigkeit und oft genug auch der Unfähigkeit, sich aus einer solchen Situation zu befreien.

Gibt es ein Entkommen aus diesem Teufelskreis?

Meine Freundin Bibi ist eine Seele, von einem Menschen. Hübsch, gescheit und im besten Alter. Sie hat einen guten Job, zwei Katzen und eine liebevoll gepflegte Pflanzenpracht in einer kuscheligen Wohnung. Es gibt nur einen dunklen Punkt in Bibis Leben: ihre Männer. Hans war wirklich toll. Er sah gut aus, war supernett und bei jedem Spaß dabei. Das galt allerdings nicht für die Phasen, in denen er stockbetrunken war. In extremen Fällen zerstörte er das gute Geschirr und in nicht vorhersehbaren Einzelfällen auch Bibis Gesicht. Alle atmeten auf, als Hans nach langen Monaten endlich irgendwie überstanden war. Dann kam Peter – groß, durchtrainiert, blonde Gelfrisur. Sein Sportsgeist war so groß, dass er nur Fruchtsaft trank und außer den Boxsack nichts und niemanden schlug. Das war so beruhigend, dass Bibi einen kleinen Schönheitsfehler lange übersah: seine unbeherrschbare Schwäche für andere Frauen. Diesmal war Bibis Gesicht vom Weinen verschwollen, wenn er sich außerhäuslich vergnügte und dabei nicht einmal besonders diskret vorging. Eines Tages war auch Peter Vergangenheit. Aber nur, weil er die Traumfrau kennen lernte und Bibi verließ. Als Paul in ihr Leben trat, war sie schon vorsichtig und checkte ihn auf möglichen Alkohol- oder Frauenkonsum. Sie wurde nicht fündig und der ganze Freundeskreis atmete auf. Diesmal schien wirklich alles gut zu laufen und es wurden sogar Ehegerüchte laut. Bis zu dem Tag, an dem Paul erklärte, alles sei ihm „zu eng“ und eine so fixe Bindung doch nicht seine Sache. Das war’s. Bibi musste ärztlich versorgt werden und konnte einfach nicht fassen, dass sie schon wieder so viel Pech hatte. Nicht näher eingehen möchte ich auf frühere Bindungen zu dem Spieler Klaus, Sexualverweigerer Martin und Ehemann Thomas (nicht ihrem!), die in Summe ähnlich katastrophal verliefen.

Die Geschichte von Bibi klingt vielleicht extrem, ist aber absolut kein Einzelfall. Für viele Frauen auf der ganzen Welt ist der Begriff „Liebe“ so stark mit Schmerz und Leid verbunden, dass sie denken, es gehöre zum Wesen einer engen Bindung, Taschentücher aus praktischen Gründen nur in Großpackungen zu erwerben. Diese Frauen „lieben zu sehr“. Zu sehr lieben bedeutet nicht für jemand anderen tief zu empfinden.

Es bedeutet:

  • Sich für einen Menschen bis zur Selbstaufgabe verzehren
  • diese Besessenheit mit Liebe gleichsetzten
  • erkennen, dass sich dies auf Psyche und Körper negativ auswirkt und
  • trotzdem nicht loslassen können.

Es bedeutet, den Grad der Liebe zu einem anderen Menschen am Grad der damit verbundenen Qualen zu messen. Die Psychotherapeutin Robin Norwood schreibt in ihrem berühmten Bestseller: „Wenn Frauen zu sehr lieben“: „Wenn er sich uns gegenüber launisch, gereizt oder gleichgültig verhält oder uns sogar demütigt und wir dieses Verhalten mit seiner unglücklichen Kindheit entschuldigen, dann lieben wir zu sehr. Wenn wir ein Selbsthilfebuch lesen und die Stellen unterstreichen, von denen wir glauben, dass sie ihm helfen können, dann lieben wir zu sehr. Wenn wir viele seiner Charakterzüge Einstellungen und Verhaltensweisen ablehnen, sie aber in dem Glauben hinnehmen, dass er sich uns zuliebe ändern wird, dann lieben wir zu sehr. Wenn die Beziehung zu einem Partner unser seelisches oder körperliches Wohlergehen gefährdet und wir ihn nicht verlassen, dann lieben wir zu sehr“.

Katastrophenmänner zeichnen sich nicht nur dadurch aus, dass sie großen Schaden anrichten, sondern auch durch unsere Unfähigkeit, ihnen rechtzeitig den Abschied zu geben. Warum gehen Frauen, die einen liebevollen Partner suchen, scheinbar unvermeidlich immer wieder zerstörerische Beziehungen ein? Warum sind sie unfähig, einen Mann zu verlassen, der lieblos, emotional unzugänglich, terroristisch oder sogar gefährlich ist? Entgegen einer weitverbreiteten Meinung ist es nicht nur Schicksal, immer wieder an Alkoholiker, Schläger, Tyrannen, Spieler, Bindungsängstler oder fremde Ehemänner zu geraten. Wenn Sie zu den Frauen zählen, die sich auf rätselhafte Weise immer wieder in Beziehungen finden, die vorsichtig formuliert unerquicklich sind, liegt die Lösung des Problems nicht bei den Männern, sondern in Ihnen. Melody Beatty schreibt in dem Buch „Die Sucht, gebraucht zu werden“ über ihre Gefühle als Frau, die zu sehr liebte: „Irgendwie hörte ich fast auf, ein eigenes Leben zu leben. Ich war so verstrickt in seine Probleme, dass ich keine Zeit und Energie hatte, meine eigenen zu erkennen und gar zu lösen. Ich fühlte mich als Opfer, verlor jegliche Selbstachtung und wusste nicht einmal, wie das geschehen war. Manchmal hatte ich das Gefühl, verrückt zu werden. Und ich dachte: Das ist alles nur seine Schuld. Wenn er mich besser behandeln würde, hätte ich keine Probleme.“ Eine Frau, die „zu sehr liebt“ steckt voller Angst. Unabhängig davon, wie sie nach außen wirkt, ist das Selbstvertrauen extrem niedrig.

Ein unbewusster Teil ihrer Persönlichkeit glaubt, Glück nicht zu verdienen. Und so zieht sie instinktiv Männer an, die ihre schlechte Meinung über sich selbst bestätigen.

Wie entsteht solch ein zerstörerisches Muster bei der Partnerwahl? Viele betroffene Frauen sind in Familien aufgewachsen, wo vermittelt wurde: „Was du denkst und fühlst, ist unwichtig!“: Robin Norwood: „Oft bleiben wir dann auch als Erwachsene in der Rolle, die wir als Kind hatten. Für Frauen, die zu sehr lieben, bedeutet das, den Bedürfnissen des anderen zu entsprechen und ihre eigenen zu verleugnen. Vielleicht hat ein Elternteil gefehlt und sie mussten schon früh in der restlichen Familie Verantwortung übernehmen. Es kann auch sein, dass sie in einer aggressiven, lieblosen häuslichen Atmosphäre aufwuchsen, oder dass Alkohol, chronische Krankheiten oder andere Familienbelastungen eine Rolle spielten. Auf jeden Fall wurde ihrer Sehnsucht nach Liebe, Aufmerksamkeit und Geborgenheit nicht entsprochen. So lernten sie, sich mit den Bedürfnissen anderer zu beschäftigen und verdrängten, dass sie selbst große Angst und Schmerz litten.“ Frauen mit solchen Kindheitsgeschichten „brauchen“ Krisen, Stress, Aufruhr und Verzweiflung von außen, damit die tief verborgenen Kindheitstraumen nicht an die Oberfläche kommen. Paradoxerweise versuchen sie, mit dem Schmerz, der durch die Katastrophenbeziehung entsteht, den in ihrem Inneren zu betäuben.

Wie können Frauen, die immer wieder an Horrormänner kommen, gesund werden?

Schritt 1: Gestehen Sie sich ehrlich ein, dass Sie dieses Problem haben und damit Unglück in ihrem Leben erzeugen. So ein Verhalten geht auf Kindheitsmuster zurück und kann verändert werden. Sagen Sie sich: “ Heute bin ich erwachsen und kein abhängiges Kind mehr. Ich habe die Macht, mein Leben nach meinen Wünschen zu gestalten und Menschen, die mir schaden, daraus zu entfernen“.

Schritt 2: Die Liebe zu sich selbst ist die wichtigste Basis für eine gute Beziehung zu anderen. Diese Selbstliebe aus ihrem jahrelangen Dornröschenschlaf zu wecken, sollte jetzt Ihre vordringlichste Aufgabe sein. Wenn Sie sich achten und respektieren, werden Sie gewisse Dinge nicht dulden, Grenzen setzen und einen Schlussstrich unter eine seelisch oder körperlich krankmachende Situation ziehen. Sie verdienen es, eine gute Beziehung zu führen. Fehler und Schwächen hat jeder, trotzdem sind Sie wertvoll und wichtig. Egal wie es bisher war – Sie sind kein Opfer von Umständen, sondern können bestimmen, welche Menschen Sie in ihrem Leben haben wollen.

Schritt 3: Überlegen Sie, welche Art von Beziehung Sie wirklich führen wollen. Jede Frau hat andere Wünsche und Vorstellungen. Kennen Sie Ihre oder haben Sie bisher nur nach Regeln anderer gelebt? Natürlich besteht jede Partnerschaft auch aus Kompromissen. Machen Sie alle, die nötig sind, außer in zwei Bereichen: gute Kommunikation und gegenseitiges Verständnis. Reden können und ein gewisser seelischer Gleichklang sind für eine gute Beziehung unverzichtbar. Sie ersparen sich viel Leid, wenn Sie von Anfang an darauf achten und nicht in der ersten Begeisterung übersehen, dass der Göttliche nur monologisiert.

Wenn Sie gerade in einer Beziehung stecken, die man nur als Katastrophe bezeichnen könnte und nicht weiterwissen, suchen Sie Hilfe. Das ist keine Schande. Eine gute Therapeutin, die verständnisvoll den Rücken stärkt und liebevoll durch seelische Tiefen führt, ist Goldes wert.

Eine Frau, die von der Sucht nach Katastrophen genesen ist, zeigt folgende Verhaltensweisen:

1) Sie schätzt sich selbst in jeder Hinsicht: Persönlichkeit, Aussehen, Leistungen Wertvorstellungen

2) Sie fragt sich: „Ist diese Beziehung gut für mich? Ermöglicht sie es mir weiterzuwachsen und meine Persönlichkeit voll zu entfalten?“

3) Wenn ein Mann ihr schadet, ist sie fähig ihn aufzugeben, ohne durch Depression gänzlich handlungsunfähig zu werden. Sie hat auch Freundschaften gepflegt, die Krisen überstehen helfen.

4) Ihre Gelassenheit schätzt sie mehr als alles andere. Kämpfe, Dramen und das Chaos der Vergangenheit haben ihren Reiz für sie verloren. Sie schützt Gesundheit und Wohlbefinden.

5) Sie weiß, dass eine erfüllende Beziehung nur zwischen Partnern bestehen kann, von denen jeder zu echter Nähe fähig ist. Sie wird daher bereits in einem frühen Bekanntschaftsstadium auf Verhaltensweisen und Einstellungen von ihm achten, die auf das Gegenteil schließen lassen.

6) Sie ist in der Lage, auch alleine zu leben und nutzt diese Zeit, um sich selbst noch besser kennen zu lernen. So kann sie herauszufinden, welche Lebensform für sie die Richtige ist.

7) SIE WEISS, DASS SIE ES WERT IST, ALLES ZU BEKOMMEN, WAS DAS LEBEN ZU BIETEN HAT

Liebe ist nicht gleichbedeutend mit Leid, obwohl viele von uns das glauben. Das Maß der Liebe an dem des Leides zu messen, ist zerstörerisch und zeigt einen großen Mangel an Selbstliebe. Ein alter Spruch sagt: „Liebe macht die Wangen rot“.

Erzeugt sie hingegen über weite Strecken Kummerfalten, geschwollene Augen und Dauerfrust, sollten Sie mit einer ehrlichen Innenschau beginnen, um herauszufinden, warum Sie sich das antun. Vielleicht ist es nötig, alte Wunden zu heilen oder verdrängte Kindheitsschmerzen endlich zu bewältigen.

Andere Menschen können zweifellos zu unserem Glück beitragen, wirklicher innerer Friede kommt aber nur aus dem eigenen Herzen. Oder wie Melody Beatty sagt: „Es ist nicht leicht, Glück in sich selbst zu finden, aber unmöglich, es anderswo zu finden.“

LITERATUR:

Robin Norwood:
„Wenn Frauen zu sehr lieben“, Rowohltverlag: ISBN 3 498 04626 8

Melody Beatty:
„Die Sucht gebraucht zu werden“, Heyneverlag: ISBN 3-453-08520-5

Steven Carter/ Julia Sokol:
„Nah und doch so fern“, Krügerverlag: ISBN 3 8105-0347-9

WO ES HILFE GIBT

Niedergelassene PsychologInnen, PsychotherapeutInnen

ERFAHRUNGSBERICHTE:

„Wie haben Sie den Katastrophenmann in Ihrem Leben überwunden?“

GerlindeP., 39: “ Eines Tages stand ich wieder am Fenster und wartete zum tausendsten Mal auf ihn. Er rief nicht mal an und plötzlich wusste ich: Wenn ich Nichts unternehme, werde ich verrückt. Gleich am nächsten Tag kontaktierte ich eine Therapeutin. Ich bin noch nicht ganz über den Berg, aber eine Genesende.“

Helga S., 34: „ch wuchs in einer Alkoholikerfamilie auf und alle meine Partner litten an diesem Problem. Ich dachte immer, ich muss nur noch netter sein, geduldiger oder attraktiver, dann ändert er sich. Bis ich spürte: Es nützt alles Nichts, i c h muss etwas verändern. Ich lebe jetzt alleine und es geht mir gar nicht so schlecht. Ich lese viele Bücher zu diesem Thema und verstehe mich selbst besser“.

Cora W., 41: „Es dauerte eine Zeit, bis ich begriff, dass ich wegen meiner Familiengeschichte immer wieder an Männer geriet, die gebunden waren oder gefühlsmäßig nicht wirklich für mich da. Nach einem missglückten Selbstmordversuch wusste ich, dass ich mich selbst retten musste. Ich lernte im Spital eine nette Psychologin kennen und gehe seither zur Therapie. Alleine hätte ich es wohl nicht geschafft, meine alten Kindheitsschmerzen zu heilen, die für die unglückliche Partnerwahl verantwortlich waren.“